Der große Nutzen der Labordiagnostik für die Klinik
XTRA-ARTIKEL AUSGABE 1/2020
Knappe Ressourcen sind im Klinikalltag die Regel. Die Dringlichkeit, medizinisches Personal zu entlasten sowie Gesundheitssysteme zu stärken, ist so hoch wie noch nie. Wie innovative Labordiagnostik globale Engpässe beheben und diesen sogar vorbeugen kann, belegen aktuelle Studien – ein Überblick
Text: Verena Fischer
Das Gesundheitssystem gerät schnell an seine Grenzen, wie aktuelle Ereignisse verdeutlichen: Neue Infektionskrankheiten verbreiten sich rasant, die steigende Lebenserwartung geht mit einem Plus an chronischen Erkrankungen einher, hochresistente Erreger gehören zum Klinikalltag und der Klimawandel belastet die Gesundheit. Gleichzeitig fehlt medizinisches Personal; und zwar weltweit rund vier Millionen Ärzte und Krankenschwestern – Tendenz steigend. Die WHO rechnet damit, dass es bereits in zehn Jahren 9,9 Millionen Mediziner zu wenig sein werden. Kein Wunder also, dass Ärzte zunehmend über Stress bis hin zum Burn-out klagen.
Um medizinisches Personal und den Klinikalltag zu entlasten, gibt es verschiedene Lösungsansätze. Eine entscheidende Rolle spielt die Labordiagnostik – denn je schneller korrekt diagnostiziert wird, desto besser sind die Prognosen und desto geringer die Behandlungsaufwände. Die WHO betont die „wesentliche Bedeutung der In-vitro-Diagnostik für die Förderung der universellen Gesundheitsversorgung, der Bewältigung von Gesundheitsnotfällen und der Förderung einer gesünderen Bevölkerung“ und veröffentlicht seit 2018 eine Liste mit essenziellen In-vitro-Diagnostiken, die jährlich erweitert wird. Darin sind unter anderem Schnelltests aufgeführt, die speziell für Entwicklungsländer ein großer Gewinn sein können, da sie ohne Strom oder geschultes Personal ganz einfach anwendbar sind.
Die Corona-Pandemie hat den Wert der In-vitro-Diagnostik erneut belegt. Prof. Christian Drosten, Laborleiter des Instituts für Virologie an der Berliner Charité, an dem das SARS-CoV-2 intensiv erforscht wird, nannte die „einzigartige Labordichte“ in Deutschland und den „hohen Standard der Technik“ als große Vorteile.
ERREGER KENNEN KEINE GRENZEN
Fest steht, dass Gesundheit mehr denn je eine globale Herausforderung ist. Dazu gehört es, internationale Gesundheitsnetzwerke auszubauen und Kapazitäten in ärmeren Ländern zu stärken. Der Internistund Infektiologe Prof. Andre van der Ven, der lange als Tropenarzt in Botswana tätig war und nun am universitären Radboud Medical Center forscht, erarbeitet Konzepte gegen armutsbedingte Krankheiten: „Malaria ist eine der gefährlichsten Infektionskrankheiten der Welt, speziell für Menschen in Afrika, die 90 Prozent aller Infektionen betreffen. Kinder unter fünf Jahren versterben am häufigsten daran“, so der Tropenmediziner. „Zielgerichtete Therapien können Prognosen deutlich verbessern. Doch diese scheitern meist an fehlender Diagnostik“, bedauert van der Ven.
Obwohl afrikanische Fieberpatienten oft von anderen Erregern oder Co-Infektionen betroffen sind, werden meist direkt ein Antimalariamittel sowie ein Antibiotikum verabreicht. Die verheerende Folge: Resistenzbildungen. Um vorzubeugen und eine effektive Diagnostik zu etablieren, hat ein Team des Radboud Medical Center eine beeindruckende Studie durchgeführt (siehe Postergewinner 1). Mit der Applikation „Infection Manager System“ der XN-Serie von Sysmex könnten zukünftig Bakteriämien bei Fieberpatienten in Malariagebieten schnell befundet oder ausgeschlossen werden.
Die häufigste Todesfolge von Bakteriämien sowie generell von Infektionskrankheiten ist eine Sepsis. Um die Ursachen zu ermitteln und Stadien einzuschätzen, eignen sich, Studien zufolge, zwei Parameter: NEUT-RI bestimmt die Aktivität der neutrophilen Granulozyten und hilft, bakterielle Infektionen mit hoher Spezifität zu erkennen. Während IG, die Anzahl unreifer Granulozyten, ein Marker zur Erkennung des Schweregrads von Infektionen und Entzündungen ist. Die Extended Inflammation Parameter, die noch NEUT-GI, die Granularität der Neutrophilen, und weitere Parameter der Lymphozyten miteinbeziehen, unterstützen die Unterscheidung von viralen und bakteriellen Infektionen.
Aktuell plant Sysmex eine prospektive Studie mit dem Intensive Care Infection Score (ICIS). Die Aufgabe von ICIS ist, auf der Intensivstation zwischen einer bakteriellen Infektion und einer nicht bakteriellen Entzündungsreaktion zu unterscheiden, um damit die richtigen medizinisch-therapeutischen Entscheidungen treffen zu können (Antibiotika oder nicht). Zusätzlich soll ICIS helfen, das Ansprechen der Antibiose besser zu beurteilen. Mit dem Ziel, diese künftig gezielter einsetzen und früher absetzen zu können.
„In Entwicklungsländern fehlt oft die Diagnostik für zielgerichtete Therapien“
Prof. Dr. Andre van der Ven
LEUKÄMIEN INNOVATIV BEFUNDEN
Die Applikation „Extended Inflammation Parameter“ hat auch ein niederländisches Forscherteam des Zuyderland Medical Center (Postergewinner 2) genutzt, um zwischen reaktiven und malignen Ursachen von Lymphozytosen sicher und schnell zu differenzieren. Ein tolles Ergebnis, da eine schnelle Befundung beispielsweise bei akuten lymphatischen Erkrankungen über Behandlungserfolge entscheiden kann, wie Leukämie-Experte Prof. Torsten
Haferlach weiß. Als Arzt setzt er auf eine möglichst enge Kooperation mit dem Labor: „Die Verzahnung von Diagnostik und Therapie unter einem Dach schafft die Voraussetzung für optimale Ergebnisse“, sagt er. Nach langjähriger Tätigkeit als Oberarzt verschiedener Unikliniken gründete er die Münchner Hämatologiepraxis und die Münchner Leukämielabor GmbH. Letztere analysiert mittlerweile rund 60 Prozent der Proben aller deutschen Leukämiepatienten, also über 80.000 Proben pro Jahr. In Haferlachs Labor ist auch eine der größten Gen-Sequenziereinrichtungen Europas beheimatet, mit der zu Forschungszwecken die kompletten Genome von bereits rund 5.000 Leukämiepatienten analysiert wurden: „Je genauer wir die einzelnen Leukämiesubgruppen erkennen, desto zielgenauer können wir sie behandeln“, erklärt der Hämatologe.
Die genaue Kenntnis des Karyotyps ist auch für allogene Stammzelltransplantationen entscheidend. Ist ein Spender gefunden, gilt es, den Apheresezeitpunkt labordiagnostisch zu bestimmen. Ein Vorgang, der viel Zeit braucht und kostspielig ist. Um Ressourcen zu sparen, hat ein Forscherteam um Dr. Apr. Kathleen Deiteren vom Universitätskrankenhaus Antwerpen (Postergewinner 3) getestet, ob sich dieser mittels automatischer Zählung hämatopoetischer Verläuferzellen aus Vollblut vereinfachen lässt – und positive Ergebnisse erzielt. Einige der Forscher tauschten sich auch beim Sysmex User Meeting (Seite 32) darüber und über ihre praktischen Erfahrungen mit der XN Stem Cells-Anwendung aus.
„Die Gen-Sequenzierung wird einen Technologiesprung bedeuten“
Prof. Dr. med. Dr. phil. Torsten Haferlach
TRANSFUSIONEN OPTIMAL EINSETZEN
Im Zusammenhang mit Stammzellspenden gab es kürzlich erfreuliche Fallbeispiele: Zwei HIV-Patienten wurden durch ihre Leukämie-Therapie von HIV geheilt, da die Spenderstammzellen wegen eines Gendefekts nicht von HI-Viren infiziert werden konnten. Ganz generell ist es ein großer Erfolg, dass rund 50 Prozent aller Leukämiepatienten in nur sechs Wochen eine Spende erhalten. Bei Vollblutspenden geht dies sogar viel schneller – noch … Denn mit dem demografischen Wandel droht eine globale Blutressourcenknappheit. Um den Verbrauch zu mindern und Gesundheitsrisiken zu minimieren, gewinnt Patient Blood Management weltweit an Bedeutung. „Hierzu gehört ein präoperatives Anämiemanagement“, erklärt Prof. Andreas Huber, der 23 Jahre als Chefarzt am Institut für Labormedizin des Kantonsspitals Aarau tätig war. „In Afrika, dem Mittleren Osten, Indien, Südostasien und Südamerika ist die Prävalenz für Anämien am höchsten“, so Huber. Ein Grund dafür sind Thalassämien – ein Forschungsschwerpunkt von Huber. „Für eine weltweite Anämiediagnostik braucht es möglichst einfache und erschwingliche In-vitro-Diagnostika, mit denen sich Ursachen eindeutig differenzieren lassen.“ So hat sich der Parameter RET-He für das Monitoring von Eisenmangel vor elektiven OPs bewährt. Erst 2019 haben Forscher unter der Leitung von Prof. Donat R. Spahn belegt, dass eine Eisentransfusion noch einen Tag vor Herz-OPs hilft, Bluttransfusionen zu vermeiden.
„Weltweit leiden 1,62 Milliarden Menschen unter einer Anämie“
Prof. Dr. med. Andreas Huber
BIG DATA UND KI SPAREN RESSOURCEN
Vollautomatische Analysesysteme und Innovationen wie das Next Generation Sequencing produzieren einen enormen Output an Daten im Labor. „Künstliche Intelligenz wird bei der Analyse dieser Datenmengen eine wichtige Rolle spielen. Dies wird Experten in Zukunft bei der Diagnosestellung unterstützen sowie die Früherkennung und Therapie von Erkrankungen deutlich verbessern, sagt Dr. Hans Georg Mustafa, Laborleiter und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Laboratoriumsmedizin und Klinische Chemie. „Um diese Prozesse zu optimieren, ist eine weitere Standardisierung der Daten von Vorteil“, sagt der Experte.
„Die Digitalisierung ist kein Ersatz für Fachkräfte, sondern ein Hilfsmittel“
Dr. Hans Georg Mustafa
Summary
- Internationale Forscher setzen auf vollautomatische Analysesysteme von Sysmex, um Erkrankungen schnell und sicher zu befunden
- Innovative Labordiagnostik kann Versorgungsengpässen vorbeugen und Ärzte entlasten
Fotoquellen: stocksy, privat