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Scientific Kalender April 2023

Gentherapie für Patienten mit Hämophilie

Welchen Test würden Sie für die Überwachung des Ansprechens auf eine Gentherapie bei Patienten mit Hämophilie verwenden? Würde dies ein einstufiger, aPTT-basierter Gerinnungstest oder ein chromogener Test oder eine andere Art von Test sein?

Welchen Test würden Sie für die Überwachung des Blutungsrisikos bei Patienten mit Hämophilie A nach Erhalt einer Gentherapie verwenden?

Einen einstufigen (one-stage), aPTT-basierten (OSAPTT) Faktor-VIII-Assay

Einen chromogenen Faktor-VIII-Assay (CFA)

Beide Assays – einen einstufigen, aPTT-basierten und einen chromogenen Faktor-VIII-Assay – da beide gut mit dem Blutungsphänotyp korrelieren

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Wissenschaftliche Hintergrundinformationen

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Lebenserwartung von Patienten mit Hämophilie (PmH) nach einer Abnahme in den 1980er und 1990er Jahren erheblich verbessert. Mittlerweile haben selbst Patienten mit schweren Erkrankungen eine Lebenserwartung, die fast an die von Menschen ohne eine Grunderkrankung heranreicht. [1,2,3] Die wichtigsten, sich auf die verbesserte Lebensqualität auswirkenden Faktoren (verringerte Morbidität sowie erhöhte Lebenserwartung) sind die Verfügbarkeit von hochqualitativen Ersatztherapien und eine verbesserte, individualisierte Gesamtversorgung. [3]

Auch wenn aktuelle rekombinante Faktor-Präparate scheinbar nicht mehr problematisch im Hinblick auf eine Übertragung von HIV und Hepatitis sind, kann eine Übertragung anderer seltener oder sogar noch unbekannter Mikroorganismen nicht vollständig ausgeschlossen werden. Daher arbeiten Pharmaunternehmen neben der Verlängerung der Zeitintervalle zwischen Medikamentengaben und einer sich anschließenden weiteren gesundheitlichen Verbesserung bei PmH weiterhin an der Entwicklung von Präparaten mit einer verbesserten Pharmakokinetik und Pharmakodynamik.

Parallel zu den Präparaten mit verlängerten Halbwertszeiten (z. B. PEGylierte Faktor-Präparate) gewinnen die sogenannten „Nicht-Faktor-basierten therapeutischen Strategien“ immer mehr an Bedeutung. Diese neuen therapeutischen Ansätze beinhalten entweder die Substitution der Funktion des fehlenden Gerinnungsfaktors mittels Antikörper (Emicizumab [Handelsname Hemlibra®]), die Runterregulierung der körpereigenen Gerinnungshemmung (Concizumab oder Fitusiran) oder die Korrektur des defekten Gens (Gentherapie).

Gentherapie bei Hämophilie

Das Ziel der Gentherapie ist die Heilung der Hämophilie durch die Korrektur des defekten Gens, sodass PmH ohne Faktorsubstitution und Blutungsepisoden wieder ein normales Leben führen können. Die Gentherapie für PmH basiert auf verschiedenen Methoden: der Geneditierung oder dem Gentransfer.

Bei der Geneditierung wird zielgerichtet gegen einen bestimmten DNA-Abschnitt (z. B. den Abschnitt, auf dem das Gen für den Faktor IX liegt) vorgegangen, um im nächsten Schritt das Gen zu reparieren bzw. es ohne Sequenzänderung an- oder auszuschalten. [4,5]

Der Gentransfer beinhaltet die Verabreichung einer gesunden Kopie des betroffenen Gens an den Organismus, woraufhin das entsprechende Protein in dem Zielgewebe produziert wird. Der Gentransfer kann in vivo durch direkte Verabreichung in das/die Zielorgansystem(e) des Patienten oder ex vivo (sprich außerhalb des Zielgewebes) erfolgen. [6,7] Die meisten klinischen Forschungsaktivitäten konzentrieren sich auf die Untersuchung der direkten in vivo Verabreichung in den Körper des Patienten. [7]

Die direkte in vivo Verabreichung und die zugehörigen Vektoren

Bei diesem Verfahren wird das Gen des Gerinnungsfaktors in ein Transportvehikel (auch Vektor genannt) verpackt, das das Gen im Körper des Patienten zum Zielorgan transportiert und dann in die Zielzellen einschleust. Im klinischen Setting der Hämophilie wird als Vektor das adeno-assoziierte Virus (AAV) oder das Lentivirus (LIV) verwendet.

Das AAV ist ein einzelsträngiges DNA-Virus der Parvovirus-Familie und schleust beim Gentransfer Gene zielgerichtet unter anderem in Hepatozyten der Leber ein. Das Virus ist bekannt für seine geringe Pathogenität sowie Immunogenität und wird nur selten in chromosomale DNA eingebaut. [8] Ein limitierender Faktor bei einer Therapie mit AAV ist die Tatsache, dass sich viele Patienten bereits in der Vergangenheit mit AAV infiziert haben, ohne klinische Symptome zu zeigen. Die dadurch gegen AAV gebildeten Antikörper können sich negativ auf die Behandlungseffizienz auswirken und den Erfolg der Therapie gefährden. [9,10,11]

Eine Ausnahme könnte das AAV vom Serotyp 5 sein, da mit diesem in der Vergangenheit trotz Vorliegen von AAV-5-Antikörpern bereits ein erfolgreicher Gentransfer erreicht werden konnte. [12] Es gibt weitere Bedenken hinsichtlich einer potenziellen Abnahme des Faktor-Spiegels über einen längeren Zeitraum, was dazu führt, dass das AAV-basierte Therapeutikum erneut verabreicht werden muss. Da sich nach der ersten Verabreichung von AAV-Vektor-Partikeln unausweichlich eine robuste und langanhaltende Anti-AAV-Immunantwort entwickelt, kann sich eine weitere Behandlung mit AAV-Vektor-Partikeln, zumindest wenn sie zum selben Serotyp gehören, als weniger effizient erweisen. [6]

Strategien zur Überwindung solcher therapeutischen Limitationen konzentrieren sich auf die Verwendung spezieller Enzyme zur Neutralisierung von Antikörpern, was eine Einschleusung des Vektors in die Zielzellen trotz vorhandener neutralisierender AAV-Antikörper ermöglicht. [13]

Im Rahmen anderer Forschungsaktivitäten wird die alternative Verwendung von lentiviralen (LIV) Vektoren untersucht. Dies könnte eine geeignete Alternative für Patienten mit bereits vorhandenen neutralisierenden AAV-Antikörpern sein. Diese Forschung hat allerdings auch Erwachsene und Kinder im Blick, die zuvor noch nicht mit einer Gentherapie behandelt wurden. [14] LIV-Vektoren gehören zu den retroviralen Vektoren. Diese können ruhende Zellen effizienter transduzieren und sich für eine kontinuierliche Genexpression in chromosomale DNA integrieren. Die Viren integrieren sich im Vergleich zu anderen retroviralen Vektoren weniger häufig im Bereich des Promoters eines Gens, was die Behandlung für den Patienten sicherer macht. [7, 14]

Eine bekannte Nebenwirkung der AAV-Gentherapie bei PmH ist die Lebertoxizität. Diese tritt nach einer Verabreichung des Vektors bei etwa 60 % der Patienten auf und zeigt sich durch einen Anstieg des Enzyms Alanin-Aminotransferase (ALT). [15,16] Die ALT-Werte erhöhten sich zumeist nur leicht und vorübergehend. Bislang wurden noch über keine Langzeitwirkungen auf die Leberfunktion berichtet. [17] Des Weiteren wurden Bedenken hinsichtlich der potenziellen Entwicklung eines Leberkarzinoms als eine Nebenwirkung der Gentherapie mit einem rekombinanten AAV laut. [6,18] Allerdings gibt es bislang noch nicht genug Daten, um zu beurteilen, ob sich dieses Risiko aus der Gentherapie ergibt oder ob andere individuelle Faktoren zu der Entwicklung von Malignomen bei mit Gentherapie-Therapeutika behandelten PmH beitragen. [19]

Ungeachtet der möglichen Nebenwirkungen überwiegen die therapeutischen Erfolge diese Bedenken deutlich. Bei Patienten mit Hämophilie B (PmHB) konnte selbst Jahre nach einer einzelnen Injektionen des Präparats ein konstant erhöhter Faktor-IX-Spiegel bei zeitgleicher Abnahme der Blutungsrate um bis zu 90 % erreicht werden. Behandelte Patienten benötigen deutlich weniger prophylaktische Behandlungen mit konventionellen Faktor-Präparaten und können ein Leben mit einer geringeren Krankheitslast führen. [20, 21]

Bei Patienten mit Hämophilie A (PmHA), die mit Faktor-VIII-Gentherapie-Therapeutika behandelt wurden, stieg der Faktor-VIII-Spiegel Jahre nach der Injektion einer Einzeldosis signifikant auf 5 % über den Normwert (0,05 IE/ml) und lag in einigen Fällen sogar im nicht-Hämophilie-Bereich (FVIII > 40 % des Normwerts oder 0,40 IE/ml). Unterschiede im Faktor-VIII-Spiegel bei Patienten werden individuellen Faktoren, wie der Konzentration des von-Willebrand-Faktors, zugeschrieben. [17] Die annualisierte Blutungsrate verringerte sich dosisabhängig um bis zu 95 %. Keiner der Patienten benötigte eine zusätzliche Verabreichung von Faktor-Konzentraten und jeder konnte ein normales Leben führen. [17,22]

Überwachung einer Gentherapie mit verschiedenen Faktor-Assays

Für die Überwachung einer Gentherapie werden die Ergebnisse von FVIII- oder FIX-Assays verwendet. Verschiedene Studien haben für den einstufigen, aPTT-basierten Assay (OSAPTT) und den chromogenen Faktor-Assay (CFA) Unterschiede bei der im Labor gemessenen Koagulationsaktivität gezeigt. Ein OSAPTT-FVIII-Assay liefert bis zu 2-fach höhere Ergebnisse als ein CFA. Die wahrscheinlichen Gründe hierfür sind ein beschleunigter Start des aktivierten Faktors X (FXa) und die Bildung von Thrombin. Beides hat bei einem OSAPTT-Assay aufgrund der kürzeren Reaktionszeit einen signifikant größeren Einfluss auf das Ergebnis der Messung.

Trotz der unterschiedlichen Aktivitätsmessungen des gentherapiebasierten FVIII-Spiegels sind beide Assays, der OSAPTT als auch der CFA, weiterhin klinisch relevant. So kann man nach der Verabreichung einer Gentherapie mit dem ersteren hämophile Zustände von nicht-hämophilen Zuständen unterscheiden und mit dem zweiten zuverlässig das Blutungsrisiko bestimmen. [23]

Unterschiede bzgl. der Assays (OSAPTT und CFA) wurden im Zusammenhang mit einer an PmHB verabreichten Gentherapie zumeist bei der Therapie mit FIX-Padua beobachtet. Die Padua-Mutation erhöht die spezifische Aktivität von FIX in einer FVIIIa-abhängigen Weise und führt daher im OSAPTT-Assay zu einem beschleunigten Einsetzen der Koagulationsreaktion. [24] Dies bedeutet vor allem, dass eine Interpretation der Ergebnisse nur in Verbindung mit Informationen über das verabreichte Therapeutikum erfolgen kann, da zum Beispiel einige der FIX-Therapeutika andere Subtypen als FIX-Padua verwenden.

Aussicht

Die Gentherapie für Patienten mit Hämophilie scheint ein weiterer vielversprechender Behandlungsansatz zu sein, um Patienten ein langes und symptomfreies Leben zu ermöglichen. Allerdings fehlen noch immer Langzeitdaten zur Wirksamkeit, Sicherheit und Immunogenität, die in weiteren Studien erhoben werden.

Literatur

[1] Plug I et al. (2006): Mortality and causes of death in patients with haemophilia, 1992–2001. A prospective cohort study. J Thromb Haemost. 4: 510–6.

[2] Tagliaferri A et al. (2010): Mortality and causes of death in Italian persons with haemophilia, 1990–2007. Haemophilia. 16: 437–46.

[3] Mejia-Carvajal C, Czapek EE, Valentino LA. (2006): Life expectancy in hemophilia outcome. J Thromb Haemost. 4: 507–9.

[4] Stephens CJ, Lauron EJ, Kashentseva E, Lu ZH, Yokoyama WM, Curiel DT. (2019): Long-term correction of hemophilia B using adenoviral delivery of CRISPR/Cas9. Journal of Controlled Release. Volume 298, 128–41.

[5] Nataša Savić, Gerald Schwank. (2016): Advances in therapeutic CRISPR/Cas9 genome editing. Translational Research. Volume 168, 15–21.

[6] Batty P, Lillicrap D. (2021): Hemophilia Gene Therapy: Approaching the First Licensed Product. HemaSphere. 5(3), e540.

[7] Ohmori T. (2020): Advances in gene therapy for hemophilia: basics, current status, and future perspectives. International Journal of Hematology. 111: 31–41.

[8] Wu Z, Asokan A, Samulski RJ. (2006): Adeno-associated Virus Serotypes: Vector Toolkit for Human Gene Therapy. Molecular Therapy. 14(3): 316–27.

[9] Calcedo R et al. (2009): Worldwide epidemiology of neutralizing antibodies to adeno-associated viruses. J Infect Dis. 199: 381–90.

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[11] Verdera HC, Kuranda K, Mingozzi F. (2020): AAV Vector Immunogenicity in Humans: A Long Journey to Successful Gene Transfer. Mol Ther. 28: 723–46.

[12] Majowicz A, Nijmeijer B, Lampen MH et al. (2019): Therapeutic hFIX activity achieved after single AAV5-hFIX treatment in hemophilia B patients and NHPs with pre-existing anti-AAV5 NABs. Mol Ther Methods Clin Dev. 14: 27–36.

[13] Leborgne C et al. (2020): IgG-cleaving endopeptidase enables in vivo gene therapy in the presence of anti-AAV neutralizing antibodies. Nat Med. 26: 1096–1101.

[14] Cantore A, Naldini L. (2021): WFH State-of-the-art paper 2020: In vivo lentiviral vector gene therapy for haemophilia. Haemophilia. 27(Suppl. 3): 122–5.

[15] Rangarajan S et al. (2017): AAV5-factor VIII gene transfer in severe hemophilia A. N Engl J Med. 377: 2519–30.

[16] Nathwani AC, Tuddenham EG, Rangarajan S et al. (2011): Adenovirus-associated virus vector-mediated gene transfer in hemophilia B. N Engl J Med. 365: 2357–65.

[17] Pasi KJ et al. (2020): Multiyear Follow-up of AAV5-hFVIII-SQ Gene Therapy for Hemophilia A. N Engl J Med. Jan 2; 382(1): 29–40.

[18] EHC news (2022): BioMarin reports a serious adverse event for its phase I/II gene therapy trial for haemophilia A.

[19] Klamroth R. (2022): Gentherapie: Neue Erkenntnisse aus den klinischen Studien. GTH 2022.

[20] George LA et al. (2017): Hemophilia B Gene Therapy with a High-Specific-Activity Factor IX Variant. N Engl J Med. 377: 2215–27.

[21] Miesbach W et al. (2018): Gene therapy with adeno-associated virus vector 5-human factor IX in adults with hemophilia B. Blood. Mar 1; 131(9): 1022–31.

[22] Pasi K et al. (2021): Hemostatic Response is Maintained for up to 5 Years Following Treatment with Valoctocogene Roxaparvovec, an AAV5-hFVIII-SQ Gene Therapy for Severe Hemophilia A [Abstract]. Res Prac Thromb Haemost. 5 (Suppl 2).

[23] Rosen S et al. (2020): ): Activity of transgene-produced B-domain–deleted factor VIII in human plasma following AAV5 gene therapy. Blood. 126 (22): 2524–34.

[24] Samelson-Jones BJ et al. (2019): Hyperactivity of factor IX Padua (R338L) depends on factor VIIIa cofactor activity. JCI Insight. 4(14): e128683.

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