Kershenbaum. „Vielleicht wurde es am Strand plötz- lich zu voll zum Sonnenbaden. Vielleicht änderte sich das Klima und der endlose Lunch war vorbei.“ Doch eine Kreatur schaffte es, auf eine neue Ener- giequelle auszuweichen – sie verdaute einen ande- ren Organismus. Von nun an waren die Lebewesen, die sich nicht anpassten, schlichtweg Nahrung. „Sämtliche Angriffs- und Verteidigungsmechanis- men begannen sich zu entwickeln. Schützende Sta- cheln und Panzer, Zähne, Augen und Krallen bilde- ten sich aus. Das Leben, wie wir es heute kennen, begann.“ BLICK ÜBER DEN TELLERRAND Leben an anderen Orten der Galaxie kann auf komplett andere Weise entstanden sein, betont Kershen baum. Doch sei davon auszugehen, dass Evolutionsgesetze wie „Survival of the Fittest“ und „Form Follows Function“ überall gelten. Und eben- so wahrscheinlich sei, dass Außerirdische vergleich- bare Anpassungsstrategien entwickelt hätten, um im Kampf um Nahrung und Lebensraum wettbe- werbsfähig zu bleiben: Fortbewegung, Kommunika- tion, Intelligenz, Geselligkeit, Sprache und Nächs- tenliebe mögen fernen Weltraumbewohnern ge- holfen haben, zu überleben. Beispiel Bewegung: Pflanzen nutzen Sonnen- energie, um Nährstoffe zu erzeugen, und können daher auf Fortbewegung verzichten. „Tiere sind hin- gegen multizelluläre Organismen, die keine eigenen Nährstoffe herstellen können und deshalb Material verdauen, zu dem sie sich erst hinbewegen müssen“, so Kershenbaum. Deshalb haben Tiere unterschied- liche Fortbewegungsorgane wie Flügel, Beine oder Flossen ausgebildet. „Ein außerirdisches Tier könn- te vielleicht Blätter besitzen und Photosynthe- se durchführen, so wie Groot aus dem Film ,Guar- dians of the Galaxy‘“, ergänzt er. Kategorisierun- gen wie „Tiere bewegen sich“ und „Pflanzen betrei- ben Photosynthese“ solle man nicht überbewerten. HÄMATOLOGISCHES SCI-FI Sicher ist jedenfalls: Alles Leben braucht Ener- gie. „Das bedeutet, dass jeder Alien von nennens- werter Größe wahrscheinlich eine Möglichkeit ha- ben muss, seinen Körper mit Energie zu versorgen“, schlussfolgert Kershenbaum. Dafür brauche es aber nicht zwingend Blut. Der Physiker Fred Hoyle postulierte eine gasförmige Lebensform mit Strö- men von ionisiertem Gas, das den Organismus mit Energie und Nährstoffen versorgt. Auch Insekten haben kein Blut – sie sind klein genug, um Sauer- stoff durch Diffusion aufzunehmen. „Aber sie ha- 50 FORSCHUNG „Der Trick, um die Möglichkeiten außerirdischen Lebens zu verstehen, ist, sich die Evolution der Vielfalt auf der Erde anzusehen“ Dr. Arik Kershenbaum ben dennoch eine zirkulierende Flüssigkeit, die Nährstoffe transportiert. Eine Art von Blutäquiva- lent scheint also wahrscheinlich.“ Fast unvorstellbar sei es, dass außerirdisches Blut mit dem von Erdbewohnern zu verwechseln ist. „Wie Blut zusammengesetzt ist, hängt sehr spe- zifisch von den Besonderheiten der evolutionären Vergangenheit des jeweiligen Lebewesens ab“, er- klärt der Zoologe. „Mollusken haben etwa blaues Blut auf Kupferbasis, und sie haben dies unabhängig von den blaublütigen Krebsen entwickelt. Die evo- lutionären Umstände werden also enorm wichtig sein, um zu bestimmen, wie das Blut von Aliens ge- nau aussieht. Und es wird sicher nicht wie mensch- liches Blut sein.“ ERYTHROZYTEN SIND KEIN MUSS Rote Blutkörperchen sind auf der Erde spezifisch für Wirbeltiere. „Es gibt also keinen Grund anzu- nehmen, dass Außerirdische Blutzellen wie wir haben“, so der Brite. Die Vielfalt des Lebens auf der Erde sei ein Schlüssel für die Diversität mög- licher evolutionärer Lösungen auf anderen Pla- neten. Bis zu einem gewissen Grad hänge es von der Aktivität des Organismus ab, wie das Blut sei- ne Funktionen, speziell als Energieversorger, aus- führt. „Wenn Aliens besonders schnell oder stän- dig in Bewegung sind, haben sie einen höheren Energiebedarf. Die Entwicklung von Blutzellen auf der Erde war eine Lösung, Energie schnell zu lie- fern. Aber es könnte andere Lösungen auf ande- ren Planeten geben“, so Kershenbaum. Krankheiten sieht der Wissenschaftler als ein universelles Problem: „Erreger stehen unter evolu- tionärem Druck, und jede ungenutzte Ressource, also auch jeder Körper, ist eine attraktive Energie- quelle“, erklärt der Forscher. Und gibt es dann auch Mediziner auf anderen Planeten? „Es ist verlockend, darüber zu spekulieren, denn wenn Aliens in einer Gesellschaft organisiert sind, ist es natürlich von Vorteil, diese durch die Kontrolle von Krankheiten am Laufen zu halten.“ Ausnahmen könnten Grup-