Die Namen Đoković, Nadal und Federer sind sicher vielen geläufig, nicht nur den Sportfans – aber wie steht es mit Arthur Ashe? Die afroamerikanische Tennisikone war Ende der 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts der erste Spieler der Geschichte, der bei drei Grand-Slam-Turnieren – Wimbledon, US Open und Australian Open – den Platz als Final- sieger verließ. Hand aufs Herz, wer hätte seinen Namen aus dem Stegreif richtig zuordnen können? Ashe war mehr als ein Champion auf dem Court, er setzte sich für Bürgerrechte und gegen Armut ein und in den Medien trat er nachdenklich, fast philo- sophisch auf. So betonte er mehrfach, dass Erfolg eine Reise sei, kein Ziel, und das damit verbundene Tun oft wichtiger als das Ergebnis selbst. Sich Ziele zu setzen, ist vielen von uns von Kind auf in die Psyche eingebrannt. Irgendwann haben wir „gelernt“, Ziele seien die Eckpfeiler des Erfolgs. Diese Vorstellung von Zielen ist meist mit dem Begriff des Sinns eng verknüpft, kommen beide zusammen, schaffen sie auf wundersame Weise Identifikation und Motivation. Von hier ist es auch nicht mehr weit zur Frage, ob sich der Sinn des Lebens an einem „Ziel“ erfüllt oder ob der Wert im Lebensweg selbst steckt. Definitiv eine Thematik, die schon Generationen von Denkern vor unserer Zeit beschäftigt hat und auf die es bis heute keine abschließende Antwort gibt. Auch wenn der Ratschlag einer konsequen- ten Zielorientierung seine Berechtigung hat, wird es an der Stelle wenig überraschen, dass viele sehr erfolgreiche Menschen ganz ohne Ziele losgezogen waren und dennoch Beachtliches erreichten. Levi Strauss, der Gründer des Jeans-Imperiums Levi’s, gehört dazu, oder Evan Spiegel, der Entwickler von Snapchat. Und selbstverständlich der seinerzeit mit religiöser Inbrunst verehrte Apple-Gründer Steve Jobs. Es sind Charaktere, die wirtschaftlich Großes geleistet und ikonische Marken geschaffen haben, obwohl sie keinen Masterplan in der Tasche hat- ten – dafür aber eine Vision und eine grundlegende Motivation, sich ständig zu verbessern und wert- volle Fähigkeiten zu erwerben. Diese Persönlichkeiten haben es aber auch des- halb geschafft, ihren Weg zu finden, weil sie sich auf 66 ESSAY / IMPRESSUM ihre Leidenschaften und ihre Stärken konzen triert haben. Und durchhielten, auch dann, wenn der Erfolg auf sich warten ließ. Sie spürten, Misserfolge können wichtige Erfahrungen sein und manchmal ist es die beste Entscheidung, einen Umweg zu neh- men. Sich Flexibilität zu bewahren und immer offen zu sein für alternative Möglichkeiten – diese Fähig- keiten scheinen es zu sein, die Erfolg bescheren und ihn vorantreiben. Auch wenn es inspirierend ist, zu sehen, dass Gedeihen nicht immer von einer bestimmten Ziel- setzung abhängt, sollten wir uns nicht täuschen: Entschlossenheit, Kreativität, Durchhaltevermögen und vor allem der Wille, das Beste aus sich heraus- zuholen, sind durch nichts zu ersetzen, auch wenn man keinen klaren Lebensweg vor Augen hat. Das Leben als Erfahrungslabor zu begreifen, statt als Masterplan, kann eine lebensverändernde Einstellung sein. Wir lassen uns oft dazu verleiten, die möglichen Nachteile gegenüber den Chancen in den Vordergrund zu stellen, weil wir Angst haben, der olympischen Zielsetzung „schneller, höher, wei- ter“ nicht zu genügen. Charakter entsteht nicht am Reißbrett, geformt wird er auf der Reise, auf die wir uns begeben, mit ihren Prüfungen und Lektionen. Unter diesem Blickwinkel können wir uns redlich über das von Schauspieler und Regisseur Woody Allen überlie- ferte Zitat amüsieren: „Wenn Sie Gott zum Lachen bringen wollen, erzählen Sie ihm von Ihren Plänen.“ Der 1988 unheilbar an Aids erkrankte Arthur Ashe brachte seine Überzeugung, einfach anzu- nehmen, was auf einen zukommt, ein letztes Mal zum Ausdruck, als er auf die Frage „Warum hat Gott ausgerechnet dich auserwählt, dass du an dieser schrecklichen Krankheit leidest?“ eines Fans ant- wortete: „50 Millionen Kinder in der ganzen Welt fangen an, Tennis zu spielen. Fünf Millionen von ihnen spielen eines Tages als Profis. 5000 stehen dann im Rampenlicht. 500 erreichen ein Grand- Slam-Turnier. 50 erreichen Wimbledon. Nur vier davon erreichen das Halbfinale. Zwei erreichen das Finale. Nur einer darf den Pokal tragen. Und als ich diesen Pokal halten durfte, fragte ich auch nicht: ,Warum ich, oh Herr?‘“ ZIEL oder WEG ? „Wenn sie Gott zum Lachen bringen wollen, erzählen sie ihm von ihren Plänen.“ Dieses Zitat von Woody Allen ist, nun ja, nicht ganz falsch. Die Fixierung auf Ziele verhindert oft, die wahren Chancen wahrzunehmen TEXT STEPHAN WILK ILLUSTRATION KATRIN RODEGAST